Freitag, 23. Juni 2023

Caroline Wahl - 22 Bahnen

 


Warum es sich zu lesen lohnt:

Ich habe dieses Buch verschlungen, es ist eines von jenen Büchern, bei denen ich traurig bin, wenn ich die letzte Seite gelesen habe, weil ich genau weiß, dass es eine Weile dauern wird, bis ich wieder eine Geschichte finde, die mich so begeistert.

Das Thema ist schwer, denn Tilda lebt mit ihrer kleinen Schwester Ida bei der alkoholkranken Mutter, die entweder betrunken und vor sich hindösend auf dem Sofa herumliegt (schlimm) oder herumschreit und verletzende Dinge zu ihren Kindern sagt (noch schlimmer). Manchmal versucht sie sich auch ein paar Tage zusammenzureissen (irgendwie auch schlimm), das merken Tilda und Ida daran, dass Abendbrot auf dem Tisch steht, wenn sie nach Hause kommen. Aber auch das können die Beiden nicht geniessen, denn sie wissen, diese Tage werden auch wieder enden und oft ist es danach noch schlimmer. 

Und trotzdem strahlt diese Geschichte eine unglaubliche Kraft und Zuversicht aus. Tilda ist mathematisch begabt und versucht Studium, Erziehung der Schwester und Arbeiten an der Supermarktkasse, um die Familie zu versorgen, unter einen Hut zu bekommen. Sie möchte für die kleine Ida da sein, ihr zumindest ab und an ein normales Familienleben ermöglichen, gleichzeitig versucht sie sie auf die schwierigen Situationen  mit der Mutter vorzubereiten. Und dabei ist sie selbst noch eine junge Frau.

Für die eigentlichen Themen in ihrem Alter bleibt kaum Platz. Lediglich ihre 22 Bahnen im Schwimmbad sind ihr heilig, ein kleines bisschen Zeit für sich. Dort trifft sie auch Viktor, der in ihrem Bauch kleine Libellen fliegen lässt, die ihr Angst machen. Die kleine Ida ist eine Künstlerin, sie ist menschenscheu, spricht wenig, malt viel und sagt in den Dialogen mit ihrer großen Schwester oft sehr weise Dinge. Ich habe die beiden sofort ins Herz geschlossen und ihr Umgang miteinander ist so liebevoll. Die Schwestern ermutigen sich gegenseitig, ihre kleinen, gemeinsamen Rituale und Spiele zeigen große Emotionen und gehen unter die Haut.

Tildas Verantwortungsgefühl ist groß, die Liebe zu ihrer kleinen Schwester Ida riesig. Und doch klopft das Leben immer mal wieder zart an die Tür und konfrontiert Tilda damit, dass es auch noch ein Leben außerhalb der kleinen Stadt, außerhalb von Ida und der kranken Mutter gibt. All das ist von der Autorin so feinfühlig und intensiv beschrieben, dass ich euch dieses Buch von ganzem Herzen empfehlen kann.


Inhalt:

"Tildas Tage sind strikt durchgetaktet: studieren, an der Supermarktkasse sitzen, sich um ihre kleine Schwester Ida kümmern – und an schlechten Tagen auch um die Mutter. Zu dritt wohnen sie im traurigsten Haus der Fröhlichstraße in einer Kleinstadt, die Tilda hasst. Ihre Freunde sind längst weg, leben in Amsterdam oder Berlin, nur Tilda ist geblieben. Denn irgendjemand muss für Ida da sein, Geld verdienen, die Verantwortung tragen. Nennenswerte Väter gibt es keine, die Mutter ist alkoholabhängig. Eines Tages aber geraten die Dinge in Bewegung: Tilda bekommt eine Promotion in Berlin in Aussicht gestellt, und es blitzt eine Zukunft auf, die Freiheit verspricht. Und Viktor taucht auf, der große Bruder von Ivan, mit dem Tilda früher befreundet war. Viktor, der – genau wie sie – immer 22 Bahnen schwimmt. Doch als Tilda schon beinahe glaubt, es könnte alles gut werden, gerät die Situation zu Hause vollends außer Kontrolle.
›22 Bahnen‹ ist eine raue und gleichzeitig zärtliche Geschichte über die Verheerungen des Familienlebens und darüber, wie das Glück zu finden ist zwischen Verantwortung und Freiheit."

Quelle: https://www.dumont-buchverlag.de/buch/wahl-22-bahnen-9783832182786/

 

Über das Buch:

 

208 Seiten, Gebunden mit Lesebändchen
Erscheinungstag: 18.04.2023
ISBN 978-3-8321-6803-2
22,00 €
Verlag: Dumont Buchverlag