Samstag, 22. August 2020

Angie Kim - Miracle Creek

 

 
 
 

Warum es sich zu lesen lohnt:

 

Das Buch beginnt mit der Beschreibung eines Vorfalls in einem medizinischen Sauerstofftank, bei dem zwei Menschen sterben und andere schwer verletzt werden. Was dann folgt, ist die mitreissende Beschreibung des Gerichtsprozesses, bei dem geklärt werden soll, wer den Brand gelegt hat. Die Kapitel sind aus den verschiedenen Perspektiven der Beteiligten geschrieben, was mir generell ja immer sehr gefällt. Ich mag es, wenn Romane den Aspekt aufgreifen, dass die Wahrheit immer mehrere Seiten hat und jede*r ihre*seine ganz eigene, in sich schlüssige Wahrnehmung hat. Der Gerichtsprozess zeigt, dass alle Beteiligten an der einen oder anderen Stelle nicht die Wahrheit sagen, alle haben Gründe dafür.

Spannend geschrieben und mit einer sehr treffsicheren Beobachtungsgabe, gibt die Autorin Einblick in die Charaktere. Besonders angesprochen hat mich die Angeklagte: Elisabeth, Mutter des autistischen Jungen, der bei dem Brand ums Leben gekommen ist. Sie war stets auf der Suche nach den besten Behandlungsmethoden für ihren Sohn, hat ihn speziell ernährt und alles dafür getan, dass  Henry optimal gefördert wird. Ihre Gedanken, Gefühle und Nöte hat die Autorin hervorragend beschrieben. Auch der Austausch von Elisabeth mit anderen Müttern behinderter Kinder, hat mich sehr bewegt. 

Neben einigen andern wichtigen Personen im Prozess ist da ist auch noch Young, Betreiber der HBO Anlage mit den Sauerstofftanks, er ist mit seiner Familie aus Korea in die USA gekommen, um seiner Tochter ein besseres Leben zu ermöglichen. Seine Beweggründe nicht ganz bei der Wahrheit zu bleiben, sind ebenfalls nachvollziehbar. Seine Tochter Mary wächst zwischen zwei Kulturen auf und tut sich schwer mit der neuen Heimat. Auch sie hat ein Geheimnis, dass sie vor ihren Eltern verbergen möchte.

Der Autorin gelingt es, die Charaktere so gut zu beschreiben, dass man jede*n von ihnen verstehen kann und ihr Handeln nachvollziehbar wird. Eine großartige erzählerische Leistung, spannend und voller unerwarteter Wendungen. Unbedingt lesen!

 

 

Inhalt:


"Wie weit würden wir gehen, um unsere schamvollsten Geheimnisse zu bewahren? „Mit durchdringender Menschenkenntnis führt Angie Kim tief in das Innenleben ihrer Charaktere.“ (Los Angeles Times)

In der Kleinstadt Miracle Creek in Virginia geht ein Sauerstofftank in Flammen auf. Zwei Menschen sterben – Kitt, die eine Familie mit fünf Kindern zurücklässt, und Henry, ein achtjähriger Junge. Im Prozess wegen Brandstiftung und Mord sitzt Henrys Mutter Elizabeth auf der Anklagebank. Und die Beweise sind erdrückend. Hat sie ihren eigenen Sohn ermordet? Während ihre Freunde, Verwandten und Bekannten gegen sie aussagen, wird klar: In Miracle Creek hat jeder etwas zu verbergen."

 

Quelle: https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/miracle-creek/978-3-446-26630-8/

Über das Buch:

 

Erscheinungsdatum: 09.03.2020
512 Seiten
Verlag: hanserblau
Fester Einband
ISBN 978-3-446-26630-8
22,00 €


Freitag, 14. August 2020

Jennifer Clement - Gebete für die Vermissten




Warum es sich zu lesen lohnt:

Die 14-jährige Ladydi ist eine ungewöhnliche Heldin. Benannt nach Lady Diana (deren Leben ihre Mutter per TV verfolgte), lebt sie mit ihrer ständig betrunkenen Mutter in einem abgelegenen Bergdorf in Mexikos Dschungel. Inmitten eines Drogenanbaugebietes und immer auf der Flucht um nicht Drogen- oder Menschenhändlern in die Hände zu fallen. In regelmäßigen Abständen werden Pestizide über den Dörfern abgelassen. TV und Kühlschrank sind die einzigen elektronischen Geräte und gleichzeitig der wichtigste Besitz. Ihre Mutter ist verbittert, aber voller Liebe für ihr Land:

"Als mein Vater wegging, sagte meine Mutter, die nie ein Blatt vor den Mund nahm, Dieser verdammte Hurensohn! Wir verlieren unsere Männer, kriegen Aids von ihnen und ihren amerikanischen Huren, unsere Töchter werden entführt, unsere Söhne gehen weg, und trotzdem liebe ich dieses Land mehr als mein Leben. Dann sagte sie ganz langsam das Wort Mexiko, und dann nochmal Mexiko. Als würde sie es von einem Teller ablecken."

In einfacher aber bildgewaltiger Sprache erzählt Ladydi ihre Geschichte, die voller Armut und Elend steckt. Aber auch die Solidarität und Kraft der Frauen sind auf jeder Seite des Buches spürbar.  Die Autorin hat viele Jahre recherchiert und viele Frauen interviewt, um das Leben der Frauen realistisch zu beschreiben. Dies hat dazu beigetragen, dass mich das Schicksal von Ladydi noch mehr ergriffen hat. Trotz der bitteren Thematik, handelt es sich um einen kraftvollen Roman. 


Inhalt:

"Ladydi wächst in den mexikanischen Bergen auf, inmitten von Mais- und Mohnfeldern, in einem Dorf ohne Männer, denn die sind auf der Suche nach Arbeit über die Grenze oder längst tot. Es ist eine karge und harte Welt, in der ein Mädchenleben wenig zählt. Eine Welt, in der verzweifelte Mütter ihre Töchter als Jungen verkleiden oder sie in Erdlöchern verstecken, sobald am Horizont die schwarzen Geländewagen der Drogenhändler auftauchen. Aber Ladydi träumt von einer richtigen Zukunft, sie träumt von Freundschaft und Liebe und Wohlstand. Ein Job als Hausmädchen in Acapulco verspricht die Rettung, doch dann verwickelt ihr Cousin sie in einen Drogendeal. Und plötzlich hält sie ein Paket Heroin in den Händen, und ein gnadenloser Überlebenskampf beginnt.

Gebete für die Vermissten beschwört die unverbrüchliche Kraft der Hoffnung in einer schrecklichen Welt. In mutigen, schockierenden und bewegenden Bildern erzählt Jennifer Clement das Leben einer außergewöhnlichen jungen Heldin."



Über das Buch:

8,99 €
Erschienen: 07.12.2015
Verlag: Suhrkamp Taschenbuch 4640
Taschenbuch, 228 Seiten
ISBN: 978-3-518-46640-7


Freitag, 7. August 2020

Juliet Grames - Die sieben oder acht Leben der Stella Fortuna





Warum es sich zu lesen lohnt:


Es gibt Geschichten aus der eigenen Familie, die werden wieder und wieder erzählt. In meiner Familie sind es oft die lustigen Geschichten, die auf Festen immer wieder rausgekramt werden. Als Kind mochte ich besonders gerne die Geschichten, die mir meine Oma und mein Opa erzählt haben. Schon früh habe ich dabei erkannt, dass es auch Bereiche und Personen gab, von denen weniger gern erzählt wurde. Manchmal habe ich nachgehakt und bekam ein paar Informationen, manchmal aber war so gar nichts zu holen und das galt es dann zu akzeptieren, auch wenn ich noch so neugierig war.  Ich habe mich deswegen gleich auf den ersten Seiten von diesem Buch angesprochen gefühlt:

"Familiengeschichten sind eine knifflige Sache. Einige erzählen wir uns, bis wir sie leid sind, andere werden unerklärlicherweise gleich wieder vergessen. Oder vielleicht auch nicht unerklärlicherweise, vielleicht stören sie das Bild der Familie. Eine Generation will nichts von ihnen wissen, und schon hat die nächste nie von ihnen gehört. Damit sind sie verschwunden, von sanfteren Tönen überschrieben."

In diesem Roman erzählt die Autorin die Lebensgeschichte ihrer Großmutter, Mariastella Fortuna, 1920 in einem kleinen Dorf in Kalabrien geboren und fast hundert Jahre später in den USA gestorben. In ihrem langen Leben ist sie mehrmals dem Tod von der Schippe gesprungen. Obschon es zum Teil wirklich absurde Situationen waren, in denen Stella Nahtoderlebnisse hatte, ist das Buch an keiner Stelle unglaubwürdig oder kitschig. Stella ist eine faszinierende Persönlichkeit, extrem freiheitsliebend und gesellschaftskritisch. Dennoch musste sie sich den alten Traditionen und dem Willen ihres Vaters beugen und heiraten. Ihr Vater zwang die Familie nach Amerika auszuwandern und ihre Heimat zurücklassen. Stella bekommt in ihrem Leben viele Kinder, auch das geschieht nicht freiwillig. Trotz ihrer starken Persönlichkeit und ihrem Mut, gelingt es ihr nicht, das Leben zu leben, welches sie sich für sich selbst wünscht.

Bei der Auseinandersetzung der Autorin mit ihrer Familiengeschichte ist ein großartiger Familienroman entstanden, in dessen Mittelpunkt für mich die Frauen der Familie stehen. Stella, ihre Mutter Assunta und ihre Schwester Cettina verkörpern drei unterschiedliche Arten ein Leben zu leben, welches kaum freie Entscheidungen ermöglicht.

Juliet Grames hat mit diesem Roman dafür gesorgt, dass die Geschichte ihrer Großmutter nicht in Vergessenheit gerät und nebenbei eine perfekte Sommerurlaubslektüre verfasst.

 

Inhalt:

"Eine große italienisch-amerikanische Familien-Saga und das Porträt einer außergewöhnlichen Frau:

Für Stella Fortuna war der Tod schon immer ein Teil ihres Lebens. Ihre Kindheit ist geprägt von merkwürdigen Unfällen – Momenten, in denen alltägliche Situationen wie das Kochen von Auberginen oder das Füttern der Schweine beinahe tödliche Folgen haben. Sogar Stellas eigene Mutter ist überzeugt davon, dass ihre Tochter verflucht ist.
In ihrem ärmlichen Dorf in Kalabrien gilt Stella als seltsam: ebenso schön und klug wie frech und abweisend. Ihre innere Kraft nützt sie vor allem, um ihre kleine Schwester Tina vor den Härten des Lebens zu schützen. Doch immer wieder provoziert Stella auch den Zorn ihres Vaters Antonio, eines Mannes, der von Frauen Unterwürfigkeit verlangt, und dessen größtes Geschenk an seine Familie seine Abwesenheit ist.

Als die Fortunas vor dem Zweiten Weltkrieg nach Amerika auswandern, hofft Stella auf eine neue Freiheit – und muss erfahren, dass ihre Familie, und allen voran ihre Schwester Tina, ihr eines um jeden Preis verweigern wird: ihre Unabhängigkeit.

Im heutigen Amerika erzählt Stellas Enkelin die bewegende Geschichte ihrer Großmutter, die Geschichte eines Lebens zwischen Italien und den USA und den Kämpfen innerhalb einer Familie, die so alt sind wie die Zeit selbst.

Mit »Die sieben oder acht Leben der Stella Fortuna« hat Juliet Grames, Verlagsleiterin bei Soho Press, einen großen Familien-Roman geschrieben, der zum Teil auf ihrer eigenen italienisch-amerikanischen Familiengeschichte beruht."


 

Über das Buch:


Verlag: Droemer HC
Erscheinungstermin: 02.09.2019
496 Seiten
ISBN: 978-3-426-28212-0
Autorin: Juliet Grames
Übersetzt von: Werner Löcher-Lawrence
22,99 €