Sonntag, 29. Oktober 2023

Julie Otsuka - Solange wir schwimmen


 

Warum es sich zu hören lohnt:

 

Alice gehört zu den regelmäßigen Besucher*innen eines Schwimmbades, in der eine eingeschworene Gemeinschaft, die Leidenschaft für das Schwimmen teilt. Zunächst beginnt der Roman mit einer humorvollen Beschreibung der unterschiedlichen Charaktere, die das Schwimmbad besuchen. Eine eigene Welt, in der eigene Regeln gelten und in die Menschen aus unterschiedlichsten Lebenskontexten regelmäßig eintauchen. Alice ist eine von ihnen, ihr gibt das Bad und die Routine des Schwimmens Halt, denn sie bemerkt zunächst ganz leise und dann immer offensichtlicher, dass etwas mit ihr nicht stimmt. Alice wird dement. Der Riss der von einem Tag auf den anderen im Beckenboden aufgetaucht ist, ist zugleich auch ein Riss in Alices Erinnerung und der Riss wird größer und größer.

Julie Otsuka gelingt mit eindrücklichen Worten und einer großen Tiefe, die Beschreibung einer Krankheit, der die Angehörigen (in diesem Fall der Ehemann und die Tochter) nichts entgegensetzen können, die keine Heilung erfahren kann und die Betroffene und ihr Umfeld aushalten müssen. Stellenweise hat mich das Buch sehr betroffen gemacht, insbesondere dann, wenn es um das Pflegeheim geht, in dem Alice schließlich ihre letzte Lebenszeit verbringt. Ihre Tochter, die sich in den letzten Jahren wenig bei ihren Eltern gemeldet hat, möchte nun wieder eine stärkere Verbindung zu ihrer Mutter aufbauen. Die Krankheit macht ihr das manchmal leichter, oft aber auch schwerer oder unmöglich, denn Alice verschwindet immer mehr, bis sie sich irgendwann ganz auflöst.

Dieses Buch geht wirklich unter die Haut und lässt erahnen, was es heißt, wenn die Menschen, die wir lieben, sich nicht mehr erinnern und immer mehr in die Dunkelheit des Vergessens abtauchen. Erst vergessen sie  Kleinigkeiten, da helfen noch "Post its", die in der Wohnung verteilt werden, dann schließlich beginnen sie sich aufzulösen und nicht mehr sie selbst zu sein. Dem sehr ergreifenden Text, gibt Sascha Icks eine sehr passende Stimme. Absolut hörenswert, wenn man sich mit dem Thema Demenz auseinandersetzen kann und will.


Inhalt:

"In ihrem Schwimmbad fühlen sie sich zu Hause, hier können sie bei ihren täglichen Bahnen ihre Sorgen hinter sich lassen: Designer, Nonnen, Hundesitter, Veganerinnen, Polizisten, Professorinnen, Schauspieler ...

Bis eines Tages ein Riss erscheint – am Beckengrund, aber auch im Gedächtnis von Alice, die genau wie die anderen hier im Schwimmen stets Trost und Halt gefunden hat. Während sie bald nur noch in bruchstückhaften Erinnerungen schwimmt, versucht ihre Tochter, sich in ihre Mutter hineinzuversetzen, ihr Verhältnis zueinander neu auszuloten und Alice’ Leben Sinn und Zusammenhang zurückzugeben.

Aus so unterschiedlichen wie verblüffenden Perspektiven und mit unvergleichlichem Gespür für das Komische im Tragischen schreibt Julie Otsuka über Liebe und Verlust, Trauer und Erinnerung, Mütter und Töchter und die große Frage, was wir unseren Eltern schuldig sind."

Quelle: https://www.argon-verlag.de/hoerbuch/julie-otsuka-solange-wir-schwimmen-9783732409150

 

 

 

Über das Hörbuch:

 

Verlag: Argon Digital
Erscheinungstermin: 08.08.2023
Laufzeit: 4 Stunden 27 Minuten
ISBN: 978-3-7324-0915-0
Übersetzt von: Katja Scholtz
Sprecherin: Sascha Icks

 

 

Freitag, 13. Oktober 2023

Alena Schröder - Bei euch ist es immer so unheimlich still

 

 

Warum es sich zu lesen lohnt:

Alena Schröder erzählt über eine Mutter-Tochter Beziehung auf zwei Zeitebenen. Die Geschichte knüpft an den ersten Roman der Autorin "Junge Frau am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid" an, den ich jedoch nicht gelesen habe.

In den 50er Jahren lebt Evelyn in dem kleinen Ort Ildingen und muss schon als junge Frau darum kämpfen, Medizin studieren zu dürfen. Als sie dann schließlich Ärztin ist, wird sie von den männlichen Kollegen nicht für voll genommen und bekommt nur die einfachen, medizinischen Fälle zugewiesen. Sie wird schwanger und bringt ihre Tochter zur Welt, merkt dann aber schnell, dass sie mit der Rolle als Mutter und Hausfrau nicht zufrieden ist und sich häufig überfordert fühlt. Ihrer Tochter Silvia wird sie nicht gerecht, sie wird immer unglücklicher und das Umfeld reagiert mit wenig Verständnis.

Silvia, die irgendwann aus dem Internat abgehauen und nach Berlin geflohen ist, lebt dort 1989 in einem besetzten Haus in einer WG. Sie hat den Kontakt zu ihrer Familie abgebrochen und wird von einem verheirateten Mann ungewollt schwanger. Da sie schnell merkt, dass ihre WG für ein Neugeborenes kein optimaler Platz ist und darüber hinaus Liebeskummer hat und sich verloren und überfordert fühlt, fährt sie zu ihrer Mutter nach Ildingen. Sie hat sie 20 Jahre nicht gesehen und steht plötzlich mit einem Baby im Arm vor ihrer Haustür.

Zwischen den beiden Frauen steht eine Geschichte, über die nie gesprochen wurde. Immer wieder versucht Silvia Licht in die Vergangenheit zu bringen und sucht das Gespräch zur Mutter, diese antwortet mit einer unheimlichen Stille, die die Autorin gut zu beschreiben weiß. Schließlich findet eine langsame Annäherung statt und der leise Versuch, die Vergangenheit zu beleuchten und Frieden mit ihr zu machen.

Das Buch war angenehm und leicht zu lesen und durch die verschiedenen Zeitebenen auch sehr kurzweilig und spannend. Für mich war es eine sehr passende Urlaubslektüre.

 

Inhalt:

"Ildingen, 1950er Jahre. Evelyn Borowski hat alles, was sie sich je erträumt hat: Ein Eigenheim mit Garten, einen fürsorglichen Mann und das lang erwartete Töchterchen Silvia. Trotzdem ist sie nicht glücklich: Sie vermisst ihren Beruf als Ärztin und fühlt sich fremd und allein in dieser süddeutschen Kleinstadt. Betti, Ihre Freundin und Schwägerin, ist unverheiratet und kümmert sich deshalb um die Eltern. Mit losem Mundwerk und rasantem Fahrstil sorgt sie für reichlich Ärger.

Ein außergewöhnlicher Familienroman, der einen Bogen von der Nachkriegszeit bis zur Wende spannt.

1989, in Berlin liegt Aufbruch in der Luft. Silvia Borowski aber macht einen Schritt zurück. In einem geklauten Polo fährt sie Hals über Kopf Richtung Süden. Neben ihr die erst wenige Wochen alte Tochter Hannah. Was erwartet sie in ihrem Heimatort, aus dem Silvia vor vielen Jahren überstürzt geflohen ist? Ist sie stark genug, sich der Vergangenheit zu stellen?

Eine berührende Mutter-Tochter-Geschichte, die von der Last jahrzehntelangen Schweigens erzählt, und von dem Mut, es zu brechen."

Quelle: https://www.dtv.de/buch/bei-euch-ist-es-immer-so-unheimlich-still-28339

 

Über das Buch:

 
EUR 24,00
ISBN: 978-3-423-28339-7
Erscheinungsdatum: 01.08.2023
1. Auflage
336 Seiten
Format: 13,8 x 21,5 cm
Sprache: Deutsch 
Verlag: dtv 


Freitag, 6. Oktober 2023

Elena Fischer - Paradise Garden




Warum es sich zu lesen lohnt:

Wow - was für ein Debüt.

Die 14-jährige Billie wächst mit ihrer Mutter in einer Hochhaussiedlung in Deutschland auf. Die freiheitsliebende Mutter stammt aus Ungarn und hat zwei Jobs, um sich und Billie finanziell über Wasser zu halten. Für den von Mutter und Tochter so sehnsüchtig gewünschten Urlaub am Meer, reicht das Geld zwar nie, aber die Lebensfreude und Fantasie der beiden kann vieles ausgleichen. Mich hat beeindruckt, wie es Billies Mutter gelingt, immer wieder das Beste aus dem Leben zu machen, auch wenn das Geld hinten und vorne nicht reicht und die Lebensumstände ärmlich sind.

Als die Großmutter aus Ungarn zu Besuch kommt, wirbelt sie das Leben von Billie und ihrer Mutter ordentlich auf und eine Auseinandersetzung führt zu einem tragischen Unfall. Billie verliert ihre geliebte Mutter und fällt in ein tiefes Trauerloch. In den vierzehn gemeinsamen Jahren hat Marika ihre Tochter gut auf das Leben vorbereitet und durch ihre bedingungslose Liebe zu einem mutigen Mädchen gemacht. Und so schnappt sich Billie den alten Nissan und macht sich auf die Suche nach ihrem Vater, von dem sie fast nichts weiß. Wir begleiten Billie auf einen Roadtrip ans Meer, welches sie noch nie gesehen hat und doch immer davon träumt.

„Wenn ich an das Meer dachte, dann war es nie langweilig. Es war entweder wild, oder es war türkis, wie auf den Plakaten im Schaufenster der Reisebüros. So oder so sehnte ich mich danach. Manchmal war diese Sehnsucht wie ein Mückenstich an einer Stelle meines Körpers, wo ich zum Kratzen nicht hinkam.“ S. 13

Das Buch steckt voller kleiner und großer Lebensweisheiten, ich habe alle Protagonist*innen sofort ins Herz geschlossen und mit ihnen gelacht und geweint. Ein wunderbares, lebenskluges Buch, unbedingt lesen!

Inhalt:


"Die 14-jährige Billie verbringt die meiste Zeit in ihrer Hochhaussiedlung. Am Monatsende reicht das Geld nur für Nudeln mit Ketchup, doch ihre Mutter Marika bringt mit Fantasie und einem großen Herzen Billies Welt zum Leuchten. Dann reist unerwünscht die Großmutter aus Ungarn an, und Billie verliert viel mehr als nur den bunten Alltag mit ihrer Mutter. Als sie Marika keine Fragen mehr stellen kann, fährt Billie im alten Nissan allein los – sie muss den ihr unbekannten Vater finden und herausbekommen, warum sie so oft vom Meer träumt, obwohl sie noch nie da war."
Quelle: https://www.diogenes.ch/leser/titel/elena-fischer/paradise-garden-9783257072501.html

Über das Buch:


Hardcover Leinen
352 Seiten
erschienen am 23. August 2023
ISBN 978-3-257-07250-1
€ (D) 23.00
Verlag: Diogenes Verlag




Ayanna Lloyd Banno - Als wir noch Vögel waren

 


Warum es sich zu lesen lohnt:


Dies ist die Geschichte von Yejide und Darwin aus Trinidad. Die Geschichte der beiden wird kapitelweise im Wechsel erzählt. Beide beschäftigt das Thema Tod, jedoch aus sehr unterschiedlichen Perspektiven.

Yejide stammt aus einer Familie, in der die Frauen zwischen der Welt der Lebenden und der Toten hin- und herwandeln können, sie können in Kontakt zu den Toten treten. Der Teil des Buches, der sich mit Yejide beschäftigt, ist manchmal etwas verwirrend zu lesen, die spirituelle Welt war für mich teilweise schwer nachzuvollziehen.

Darwin verlässt seine Mutter, die ihn sehr liebevoll erzogen hat und mit der er in großer Armut aufgewachsen ist. Obschon er sich als Rastafari eigentlich vom Tod fernhalten soll, nimmt der den einzigen Job an, den er in der Großstadt bekommen zu scheint und wird Totengräber. Dies ist für seine Mutter völlig unverständlich und sie bricht den Kontakt zu ihrem Sohn ab. Wenn es um Darwin ging, fiel es mir leichter, in die Geschichte einzutauchen. Darwin und Yejide scheinen füreinander bestimmt zu sein und als sie sich schließlich begegnen, entspinnt sich eine zarte und sehr schöne Liebesgeschichte.
 

Auf das Buch musste ich mich einlassen, der sehr besonderer Erzählstil hat mich aber immer wieder neugierig gemacht und so empfehle ich das Buch all jenen, die Lust auf eine aussergewöhnliche Lektüre in mystischer, blumiger und poetischer Sprache haben.


Inhalt:


"Port Angeles, Trinidad. In den sonnendurchglühten Gassen mischt sich das vielstimmige Geschrei der Händler mit Vogelgezwitscher und Verkehrslärm; es riecht nach Gewürzen und reifen Früchten. Unter stillen, schattigen Bäumen ruht Fidelis, der jahrhundertealte Friedhof der Insel. Hier arbeitet Emmanuel als Totengräber. Der junge Rastafari hat sein Zuhause verlassen, um seinen Vater zu finden. Als er Yejide trifft, hat das Schicksal ihre Wege längst fest miteinander verflochten. Und so beginnt dort, wo das Leben endet, eine magische Liebesgeschichte."

Quelle: https://www.diogenes.ch/leser/titel/ayanna-lloyd-banwo/als-wir-voegel-waren-9783257072242.html


Über das Buch:

 

Hardcover Leinen
352 Seiten
erschienen am 26. April 2023
Aus dem trinidad-kreolischen Englisch von Michaela Grabinger
ISBN 978-3-257-07224-2
€ (D) 24.00
Verlag: Diogenes Verlag