Montag, 26. August 2019

Franz Xaver Karl - Fünf Tage im Juli

 

 

 

Warum es sich zu lesen lohnt:

 

Familien haben eine ganz eigene Dynamik. Ich stelle bei mir selbst immer wieder fest, wie ich im Umfeld meiner Familie in alte Rollen zurückfalle, von denen ich eigentlich dachte, dass ich sie längst hinter mir gelassen habe. Die Liebe, die mich zu meiner Familie verbindet, ist einzigartig und wundervoll, aber sie ist auch manchmal kompliziert. Erinnerungen und Gefühle aus der Kindheit spielen in die Gegenwart hinein, ob wir wollen oder nicht. Dieses Buch habe ich (wie passend) auf der Hin- und Rückfahrt zu einem Familienfest gelesen, vielleicht ist es mir deswegen ganz besonders nah gegangen.

Theo und Martha sind verheiratet und haben 3 erwachsene Kinder. Ruth, die mit ihrem Leben und ihrem Ehemann unzufrieden ist und versucht den Freund ihrer Tochter zu verführen.  Marie, die sich nach einer wilden, exzessiven Jugend schließlich als Künstlerin durchs Leben schlägt. Und Florian, der es in den Augen seiner Eltern zu nichts gebracht hat, er arbeitet als freier Mitarbeiter beim Rundfunk und hat nicht einmal ein richtiges Auto. Martha, Theos Frau, liebt ihren Garten und die Pflanzen, die darin gedeihen. Ihren Kindern und ihrem Mann gegenüber zeigt sie wenig Liebe und Fürsorge.

"Martha besaß die Fähigkeit und die Macht, ihre Kinder mit einem einzigen Satz zum Kochen zu bringen. Hilflose Wut über ungerecht empfundene Urteile - das kannten sie seit frühester Jugend. Frisuren, Kleider, Freunde, Berufe. Nichts konnte vor dem Urteil von Martha bestehen."

Theo liegt im Sterben und der Roman beschreibt die letzten 5 Tage seines Lebens. Die ganze Familie ist mit der Situation überfordert. Auch Theo selbst würde am liebsten einen Ausweg finden vor dem nahenden Tod. Martha kümmert sich noch mehr um ihre Pflanzen. Ruth versucht ihrem Vater auf dem Totenbett Geld abzuschwatzen und Marie sucht ihn, als er plötzlich noch einmal das Auto aus der Garage holt und davonfährt. Florian macht sich viele Gedanken über den bevorstehen Tod seines Vaters:

"Wenn sein Vater weg war, das wußte er, würde er zum ersten Mal wirklich erwachsen sein müssen. Vielleicht hatte er davor Angst. Niemand würde mehr für ihn einspringen, wenn etwas krumm liefe."

Dem Autor gelingt es, jede Figur so zu beleuchten, dass man ihr Verhalten und ihre Sicht auf das Leben nachvollziehen kann. Durch Rückblicke beschreibt er auch die Vergangenheit der Familienmitglieder, dadurch erhält man einen Einblick in die Kindheit von Ruth, Marie und Florian und erfährt, wie Martha und Theo ein Paar wurden. 

Der Roman läuft auf den Tod von Theo zu. Die Kinder kommen nach Hause, um bei ihm zu sein und die Fäden laufen an dieser Stelle zusammen. Die Familie ist versammelt und muss dem Thema Tod in die Augen sehen. Vieles haben sie in dieser Familie unter den Teppich gekehrt, der Tod lässt sich jedoch nicht unter den Teppich kehren.

Ein ganz toller und emotionaler Roman, der mir auch sprachlich sehr gut gefallen hat.


Inhalt:


"Mit realistischer Härte und in einer genauen und poetischen Sprache erzählt Franz Xaver Karl fünf entscheidende Tage aus dem Leben einer Familie. Über drei Generationen hinweg entfaltet sich ein Panorama voller unausgesprochener Sehnsüchte und verworfener Träume. Der Vater liegt im Sterben, und die Familienmitglieder sind konfrontiert mit ihren Hoffnungen und Verletzungen, ihren Prägungen und Erinnerungen, schließlich mit dem, was Liebe und Tod bedeuten. Dabei wird spürbar, wie fremd die Beteiligten einander sind. Sie zeigen sich in ihrer Verlorenheit und Absonderlichkeit, in ihrer Bösartigkeit und tiefen Verunsicherung während der Vater überlegt, wie er dem Tod noch entkommen könnte."
Quelle: Klappentext des Buches


Über das Buch:


Roman
256 Seiten, gebunden
Blumenbar, München 2007
ISBN 978-3-936738-29-2

Das Buch ist derzeit leider nicht lieferbar, man kann lediglich versuchen ein gebrauchtes Exemplar zu erstehen. Bei der Münchner Stadtbibliothek kann man es ausleihen.

Montag, 19. August 2019

Ian McEwan - Maschinen wie ich

 

Warum es sich zu lesen lohnt:

 

Ian McEwan hat einen vielschichtigen, klugen Roman über künstliche Intelligenz, Moral und Beziehungen geschrieben, er vermischt darin Realität und Fiktion. Die Geschichte führt uns in die 80er Jahren nach London, Alan Turing (Computerpionier der Künstlichen Intelligenz) lebt noch und es gibt die ersten menschlich aussehenden Androiden zu kaufen.

Einen solchen kauft sich Charlie. Der Android heißt "Adam" und gemeinsam mit Miranda, der Frau, in die er sich gerade verliebt hat, legt er die Charaktermerkmale von Adam fest. Dies ist der Beginn einer komplizierten Dreiecksbeziehung. Adam entwickelt menschliches Verhalten, immer wieder ist man als Leser*in mit der Frage konfrontiert: Was genau unterscheidet Adam eigentlich von einem "richtigen" Menschen? Als Miranda eines Tages Sex mit Adam hat, kann sie Charlies Eifersucht nicht verstehen, denn in ihren Augen unterscheidet Adam doch nichts von einem Vibrator. Charlie hingegen, sieht das ganz anders und als er versucht, Adam an seinem Hauptschalter auszuschalten, bricht ihm dieser den Arm.

McEwan hat viel reingepackt in seinen Roman und manchmal waren es mir fast zu viele Ebenen, die er berührt. Miranda lebt mit einem Geheimnis und durch Adam wird dieses Geheimnis aufgedeckt und Charlie erfährt davon. Hier kommt das Thema Moral ins Spiel. Auch kommt das Paar durch Adam zu viel Geld und stellt sich die Frage, ob das moralisch vertretbar ist. Adam mischt sich mehr und mehr in das Leben des Paares ein und schon bald steht deren Leben komplett auf dem Kopf.

Am meisten hat mich persönlich die über allem stehenden Frage nach dem freien Willen an dem Buch begeistert. Die feinen Nuancen, die den Androiden Adam von einem Menschen unterscheiden, und wie sie immer schwerer zu greifen und zu benennen sind. 


Inhalt:

"Charlie ist ein sympathischer Lebenskünstler Anfang 30. Miranda eine clevere Studentin, die mit einem dunklen Geheimnis leben muss. Sie verlieben sich, gerade als Charlie seinen ›Adam‹ geliefert bekommt, einen der ersten lebensechten Androiden. In ihrer Liebesgeschichte gibt es also von Anfang an einen Dritten: Adam. Kann eine Maschine denken, leiden, lieben? Adams Gefühle und seine moralischen Prinzipien bringen Charlie und Miranda in ungeahnte – und verhängnisvolle – Situationen."
Quelle: https://www.diogenes.ch/leser/titel/ian-mcewan/maschinen-wie-ich-9783257609585.html

 

 

Über das Buch:

 

Hardcover Leinen
416 Seiten
erschienen am 22. Mai 2019
ISBN 978-3-257-07068-2
€ (D) 25.00 
Verlag: Diogenes Verlag