Mittwoch, 22. November 2023

Tim Parks - Hotel Milano


 

Warum es sich zu lesen lohnt:

 

Frank checkt im März 2020 in einem teuren Hotel in Mailand ein, um sich verwöhnen zu lassen, wenn er schon auf die Beerdigung eines alten Freundes fliegen muss. Die Warnung seines Sohnes, dass ein Flug nach Mailand in seinem Alter aktuell sehr risikobehaftet sei, versteht er nicht und ignoriert er folglich. Frank liest seit ein paar Jahren keine Tageszeitungen mehr und schaut auch keine Nachrichten. So geht zunächst an ihm vorbei, was zu dieser Zeit an wohl kaum jemanden vorbei gegangen ist: Der Beginn der Coronapandemie. 
 
Dieses Wort nutzt der Autor überhaupt nicht und dennoch ist es für uns Leser*innen sofort klar, was da Draussen vor sich geht, als Frank plötzlich das Hotel nur noch aus gutem Grund verlassen darf, den Aufzug nur noch Aufwärts und allein benutzen darf und Plexiglasscheiben vorm Hoteltresen aufgebaut werden. Auch sein Rückflug nach London ist ersatzlos gestrichen und sein Aufenthalt verlängert sich auf ungewisse Zeit. Tim Parks beschreibt Fakten, die sich für Frank ändern und aufgrund derer er die Augen immer weniger vor der Realität verschließen kann, auch ohne Nachrichten. Für mich war dies eine sehr spannende Perspektive. Ich habe mir immer wieder die Frage gestellt: Wie kann es in einer solchen Situation gelingen, dem Impuls zu widerstehen, sich zu informieren? Und trägt seine Unwissenheit dazu bei, dass er sich entschließt der Familie, die sich auf dem Dachboden versteckt, zu helfen, obschon der Großvater heftige Krankheitssymptome hat?
 
Für mich war an diesem Roman Franks Umgang mit der Pandemie das, was mich am meisten fasziniert hat und zum Nachdenken angeregt hat. Das Buch ist sicher kein Wohlfühlbuch, dennoch schreibt Tim Parks auch hier wieder mit viel Humor und Sinn für skurrile Situationen. Eine klare Leseempfehlung von mir, wenn man bereit ist, gedanklich an den Beginn der Pandemie zurückzugehen.


 Inhalt:

"März 2020, die Welt hat sich über Nacht verändert. Frank ist kurzfristig nach Mailand gereist und sitzt nun in seinem Luxushotel fest, wo er eine folgenschwere Begegnung hat. Eine berührende Geschichte über die Freundlichkeit von Fremden und über einen Mann, der angesichts der Möglichkeit, ein Leben zu retten, auch eine Bilanz seines eigenen ziehen muss.

Franks zurückgezogene Existenz in einem ruhigen Stadtteil Londons wird empfindlich gestört, als er zur Beerdigung seines alten Freundes Dan nach Mailand kommen soll. Er hofft, dort seine Ex-Frau Connie, die auch Dans Geliebte war, wiederzutreffen, und fliegt selbstvergessen in das Epizentrum einer Krise, die er in den Nachrichten kaum registriert hat.
Es ist Frühling, das Hotel Milano, in dem er abgestiegen ist, bietet jeden erdenklichen Komfort – Frank will es sich ein paar Tage gutgehen lassen, um die jähe Konfrontation mit seiner Vergangenheit zu verdauen. Doch dann gilt von einem Tag auf den anderen eine Ausgangssperre, das gesamte öffentliche Leben kommt z um Erliegen, Frank bekommt keinen Heimflug mehr und sitzt auf unbestimmte Zeit fest.
Als er nachts vom Geräusch dumpfer Schläge aufwacht und auf der Suche nach deren Ursprung auf dem Dachboden des Hotels landet, trifft er auf Hakim, einen kleinen Jungen, der sich mit Mutter und Großvater hier versteckt hält. Frank muss eine Entscheidung treffen, die sein Leben und das der Familie für immer verändern wird."

 

Über das Buch:

 

Verlag: Antje Kunstmann
240 Seiten
erschienen im September 2023
Übersetzt von Ulrike Becker 24,00 € (D)
ISBN: 978-3-95614-563-6